Ungefähr 3000 Bilder folgen, fast alles aus dem Internet
gefischte Postkarten. Verwunderlich ist es schließlich nicht, dass eine solch
große Menge an Dokumenten zu finden war, Smyrna war zum einen der Vorposten
Europas, zum anderen das Tor zum Orient und des Orients.
Als die österreichischen Archäologen unter Benndorf und
Niemann zu einem Surveyunternehmen – so würden es wir heute nennen – im Jahre
1882 aufbrachen, wurde das Unterfangen ab Smyrna als Expedition bezeichnet, so
fern waren damals die Länder Kleinasiens – in den Köpfen der Europäer.
Die Erfindung der Postkarte geschah – wie könnte es anders
sein – in Paris um 1760, man schickte sich „Petite Poste“. Ab 1875 konnten
solche Nachrichten massenhaft auch über Ländergrenzen versandt werden, das
Übereinkommen des Weltpostvereins ermöglichte es. Schon nach kurzer Zeit
schmückte man die Rückseite mit Bildern, was zwei Vorteile hatte: Man konnte
zeigen, wo der Absender gerade war, zum anderen verblieb leider nur wenig
Platz für schriftliche Nachrichten, aber man hatte dokumentiert, an den
Empfänger gedacht zu haben. Die gegenwärtigen Kommunikations-möglichkeiten
haben es mit sich gebracht, dass diese Art der Mitteilung sanft dahinsiecht.
Die Fülle an Bildern musste in irgendeiner Form organisiert
werden, zumal es galt, doppelte Bilder zu eliminieren, Variationen
aufzuzeigen, Zusammengehöriges einander an zu nähern, auch die Vielfalt erheischt Ordnung. Also
wurden die nachfolgenden Kategorien gewählt, um das Ganze zu strukturieren.
01 Panoramen
02 Geschichte bis 1918
03 Geschichte 1918 bis 1923 mit
Untergruppierungen
04 Vororte am Meer
05 Kai
06 Hafenanlagen
07 Hafenbetrieb
08 Belle Vue
09 Konak und Uhrturm
10 Sariskisla
11 Stadtansichten
12 Sonstige Stadtteile
13 Rue Franque und andere Straßen
14 Eisen-Bahn-Hof
15 Einzelgebäude
16 Mons Pagus
17 Sakrale Gebäude
18 Aquädukt
19 Cafe Eden
20 Dianabad und Meles
21 Karawanenbrücke
22 Karawane
23 Menschen mit Untergruppierungen
24 Mehrfachbilder
25 Motive nach Rubellin
26 Izmir
Wer nun feststellt, die Einhaltung der selbst gesetzten
Kategorien sei durchbrochen, hat recht. Was ist der bildliche Unterschied
zwischen Hafenbetrieb und Hafenanlage, ab wann sei eine Karte besser bei
Panoramen als in Stadtansichten untergebracht? Der geduldige Betrachter ist
großmütig und verzeiht. Vorab werden die Bilder fast kommentarlos präsentiert,
denn Bilder haben eine andere Aussagekraft als die Sprache.
Bei einzelnen Bildern könnte man annehmen, sie seien doppelt,
aber das täuscht. Einzelne Motive und einzelne Aufnahmen wurden in den Zeiten
kaum vorhandenen Urheberrechts gnadenlos kopiert, somit ergaben sich schon
leichte Variationen. Sie aufzuzeigen, erschien dem Verfasser wichtig. Ein
anderer Grund für die mehrfache Wiedergabe des gleichen Motivs war technisch
bedingt: Die Datenmenge der damaligen Photographien war so hoch, dass sie
drucktechnisch noch nicht umgesetzt werden konnten. Man behalf sich
beispielsweise dadurch, dass man Zeichnungen anfertigen ließ, die dann zur
Zwecke der höheren Authentizität den Vermerk trugen: nach der Photographie von
… . Weiterhin gab es damals schon die Faszination der Farbe, denn nur bei
Mondschein ist es auf der Erde schwarz-weiß. Also mussten photographische
Bilder so verändert werden, dass mit Farbe gedruckt werden konnte.
Eine Reihe von Bildern ist „FAKE“, also sie waren nicht
wirkliche Postkarten. Dieses Geständnis muss gemacht werden. Das Fälschen
beruht zum einen auf dem Drang, einige schöne Bilder, so die von Sebah &
Joaillier, dabei zu haben, eben als hätten die damaligen Postkartenediteure
diese Bilder übersehen. Zum anderen waren die Postkarten als Boten aus der
Vergangenheit mit zeitgleichen Photographien zu unterstützen.
Der Urheber einer Sache möchte gerne die Deutungshoheit über
die Materie besetzen. Dies ist verständlich, aber nicht richtig. Das Sammeln
dieser Postkarten und ihre Aufbereitung begannen als Nebeneffekt, wurden dann
aus einer Mischung von Hartnäckigkeit und Selbstverleugnung fortgesetzt und
gerieten zu einem Vorgang von fast manischer Besessenheit. Dabei war nicht das
eigentliche Sammeln das Zeitraubende, sondern die Aufarbeitung der Bilder.
Ästhetisch geben sie alle wenig her, von den Fälschungen abgesehen. In den
Vorbemerkungen zu den einzelnen Unterordnern werden meist kurz soziologische
Aspekte angesprochen, der Text tritt aber weit hinter den Bildern zurück.
Die kosmopolitische Welt Smyrnas ist vergangen, fast alle
Beteiligte verfielen der Seuche des 19. und 20. Jahrhunderts, dem
Nationalismus. Leider ist er – besonders in dem Land, das einst Kleinasien war
– auch heute nicht überwunden ist, hat die Verwandlung zu einem ruhigen
Patriotismus nicht geschafft. Jedoch ist diese Sammlung auch ein Appell an
heute, mit Achtung der Vergangenheit gegenüberzustehen, manchmal war früher
wirklich etwas besser.
Die meisten Bilder stammen aus dem Internet. Die Betreiber
von Webseiten und Blogs sind unterschiedlich freigiebig, meist ermöglichen sie
ein Herunterladen der gezeigten Abbildung. Wenn sie gar zu geizig oder vermeintlich
geschäftstüchtig sind, dann musste ihre Habsucht mittels Geduld und
Printscreen, manchmal sogar nur häppchenweise, überwunden werden. Letztlich ist
es nicht einzusehen, dass die Fähigkeit, einen Scanner zu bedienen, neues
Urheberrecht erzeugen soll. Zu den offenen Quellen zählen zum Beispiel das
Unternehmen delcampe.net oder die Website der Levantine Heritage. Wie jede Jagd
war die Beute durch Beharrlichkeit, Geschick und Hartnäckigkeit zu erlegen.
Hinzu flossen private Quellen, so werden die Mitglieder der Familie Guiffray
einige ihrer Schätze wiedererkennen.
Damit war der erste Schritt gemacht. Alte Postkarten befinden
sich meist in einem etwas derangierten Zustand; nicht nur die damalige Reise
haben sie überstanden, sie waren auch über Jahrzehnte Handreichungen
ausgesetzt. Manche waren in Alben eingefädelt, auf einigen sind noch die
farbigen Querstreifen in den Ecken erkennbar, die durch das unterschiedliche
Vergilben hervorgerufen wurden. Bei fast allen waren die Ecken zu Runden geworden,
die wurden ihnen ausgetrieben. Das Scannen wird häufig lieblos betrieben, die
Taste „Automatische Tonwertkorrektur“ zu leichtfertig gedrückt. Ohne Photoshop
wären viele Postkarten unklarer und trister.
Um die Fülle der Bilder überschaubar zu machen, muss man sie
vergleichen können. Die Größe wurde einheitlich auf 750 X 500 Pixel festgelegt, alle Karten
wurden in diese Prokrustesgröße hineingezwungen. Als Liebhaber ist man nicht
streng, sondern willkürlich. So musste ein Bild gefallen, um intensiv
bearbeitet zu werden. „Gefallen“ hat jedoch nur, was für die Zusammenstellung
wichtig war. Manche mussten aus ihrer Unkenntlichkeit herausgelockt werden,
dies führte dazu, dass Postkarten mit aufgenommen wurden, die in solch geringer
Größe nie eine Druckvorlage hätten sein dürfen. Die Eingemeindung von Bildern
in das Postkartenformat geschah meistens dann, wenn entweder besonders treffende
Aufnahmen vorhanden waren, so diejenigen s-w Bilder aus der Sammlung Guiffray,
oder aber das Photo auftauchte, das seinerzeit Grundlage der Postkarten gewesen
war. Meist waren dies Photographien der Dynastien Sebah und Rubellin, später
die der berüchtigten Padova Freres.
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