Donnerstag, 11. August 2016

00 Ankunft in Smyrna

Ungefähr 3000 Bilder folgen, fast alles aus dem Internet gefischte Postkarten. Ver­wunderlich ist es schließlich nicht, dass eine solch große Menge an Dokumenten zu finden war, Smyrna war zum einen der Vorposten Euro­pas, zum anderen das Tor zum Orient und des Orients.

Als die österreichischen Archäologen unter Benn­dorf und Niemann zu einem Surveyunternehmen – so würden es wir heute nennen – im Jahre 1882 aufbrachen, wurde das Unterfangen ab Smyrna als Expedition bezeichnet, so fern waren damals die Länder Kleinasiens – in den Köp­fen der Europäer.

Die Erfindung der Postkarte geschah – wie könnte es an­ders sein – in Paris um 1760, man schickte sich „Petite Poste“. Ab 1875 konnten solche Nachrichten mas­senhaft auch über Ländergrenzen versandt werden, das Überein­kommen des Weltpostvereins ermöglichte es. Schon nach kurzer Zeit schmückte man die Rückseite mit Bildern, was zwei Vorteile hatte: Man konnte zeigen, wo der Ab­sender gerade war, zum anderen verblieb leider nur wenig Platz für schriftliche Nachrichten, aber man hatte doku­mentiert, an den Empfänger gedacht zu haben. Die ge­genwärtigen Kommunikations-möglichkeiten haben es mit sich gebracht, dass diese Art der Mitteilung sanft dahin­siecht.

Die Fülle an Bildern musste in irgendeiner Form organi­siert werden, zumal es galt, doppelte Bilder zu eliminie­ren, Variationen aufzuzeigen, Zusammengehöriges ei­nander an zu nähern,  auch die Vielfalt erheischt Ord­nung. Also wurden die nachfolgenden Kategorien ge­wählt, um das Ganze zu strukturieren.

01     Panoramen
02     Geschichte bis 1918
03      Geschichte 1918 bis 1923 mit Untergruppierungen
04     Vororte am Meer
05     Kai
06     Hafenanlagen
07     Hafenbetrieb
08     Belle Vue
09     Konak und Uhrturm
10     Sariskisla
11     Stadtansichten
12     Sonstige Stadtteile
13     Rue Franque und andere Straßen
14     Eisen-Bahn-Hof
15     Einzelgebäude
16     Mons Pagus
17     Sakrale Gebäude
18     Aquädukt
19     Cafe Eden
20     Dianabad und Meles
21     Karawanenbrücke
22     Karawane
23     Menschen mit Untergruppierungen
24     Mehrfachbilder
25      Motive nach Rubellin
26     Izmir

Wer nun feststellt, die Einhaltung der selbst gesetzten Kategorien sei durchbrochen, hat recht. Was ist der bild­liche Unterschied zwischen Hafenbetrieb und Hafenan­lage, ab wann sei eine Karte besser bei Panoramen als in Stadtansichten untergebracht? Der geduldige Betrachter ist großmütig und verzeiht. Vorab werden die Bilder fast kommentarlos präsentiert, denn Bilder haben eine andere Aussagekraft als die Sprache.

Bei einzelnen Bildern könnte man annehmen, sie seien doppelt, aber das täuscht. Einzelne Motive und einzelne Aufnahmen wurden in den Zeiten kaum vorhandenen Ur­heberrechts gnadenlos kopiert, somit ergaben sich schon leichte Variationen. Sie aufzuzeigen, erschien dem Verfasser wich­tig. Ein anderer Grund für die mehrfache Wiedergabe des gleichen Motivs war technisch bedingt: Die Datenmenge der damaligen Photographien war so hoch, dass sie drucktechnisch noch nicht umgesetzt werden konnten. Man behalf sich beispielsweise dadurch, dass man Zeich­nungen anfertigen ließ, die dann zur Zwecke der höheren Authentizität den Vermerk trugen: nach der Photographie von … . Weiterhin gab es damals schon die Faszination der Farbe, denn nur bei Mondschein ist es auf der Erde schwarz-weiß. Also mussten photographische Bilder so verändert werden, dass mit Farbe gedruckt werden konnte.

Eine Reihe von Bildern ist „FAKE“, also sie waren nicht wirkliche Postkarten. Dieses Geständnis muss gemacht werden. Das Fälschen beruht zum einen auf dem Drang, einige schöne Bilder, so die von Sebah & Joaillier, dabei zu haben, eben als hätten die damaligen Postkartenedi­teure diese Bilder übersehen. Zum anderen waren die Postkarten als Boten aus der Vergangenheit mit zeitglei­chen Photographien zu unterstützen.

Der Urheber einer Sache möchte gerne die Deutungsho­heit über die Materie besetzen. Dies ist verständlich, aber nicht richtig. Das Sammeln dieser Postkarten und ihre Aufbereitung begannen als Nebeneffekt, wurden dann aus einer Mischung von Hartnäckigkeit und Selbstverleug­nung fortgesetzt und gerieten zu einem Vorgang von fast manischer Besessenheit. Dabei war nicht das eigentliche Sammeln das Zeitraubende, sondern die Aufarbeitung der Bilder. Ästhetisch geben sie alle wenig her, von den Fäl­schungen abgesehen. In den Vorbemerkungen zu den ein­zelnen Unterordnern werden meist kurz soziologische Aspekte angesprochen, der Text tritt aber weit hinter den Bildern zurück.

Die kosmopolitische Welt Smyrnas ist vergangen, fast alle Beteiligte verfielen der Seuche des 19. und 20. Jahr­hunderts, dem Nationalismus. Leider ist er – besonders in dem Land, das einst Kleinasien war – auch heute nicht überwunden ist, hat die Verwandlung zu einem ruhigen Patriotismus nicht geschafft. Jedoch ist diese Sammlung auch ein Appell an heute, mit Achtung der Vergangenheit gegenüberzustehen, manch­mal war früher wirklich etwas besser.

Die meisten Bilder stammen aus dem Internet. Die Be­treiber von Webseiten und Blogs sind unterschiedlich freigiebig, meist ermöglichen sie ein Herunterladen der gezeigten Abbildung. Wenn sie gar zu geizig oder ver­meintlich geschäftstüchtig sind, dann musste ihre Hab­sucht mittels Geduld und Printscreen, manchmal sogar nur häppchenweise, überwunden werden. Letztlich ist es nicht einzusehen, dass die Fähigkeit, einen Scanner zu bedienen, neues Urheberrecht erzeugen soll. Zu den offe­nen Quellen zählen zum Beispiel das Unternehmen delcampe.net oder die Website der Levantine Heritage. Wie jede Jagd war die Beute durch Beharrlichkeit, Ge­schick und Hartnäckigkeit zu erlegen. Hinzu flossen pri­vate Quellen, so werden die Mitglieder der Familie Guiffray einige ihrer Schätze wiedererkennen.

Damit war der erste Schritt gemacht. Alte Postkarten be­finden sich meist in einem etwas derangierten Zustand; nicht nur die damalige Reise haben sie überstanden, sie waren auch über Jahrzehnte Handreichungen ausgesetzt. Manche waren in Alben eingefädelt, auf einigen sind noch die farbigen Querstreifen in den Ecken erkennbar, die durch das unterschiedliche Vergilben hervorgerufen wurden. Bei fast allen waren die Ecken zu Runden ge­worden, die wurden ihnen ausgetrieben. Das Scannen wird häufig lieblos betrieben, die Taste „Automatische Tonwertkorrektur“ zu leichtfertig gedrückt. Ohne Photo­shop wären viele Postkarten unklarer und trister.

Um die Fülle der Bilder überschaubar zu machen, muss man sie vergleichen können. Die Größe wurde einheitlich auf 750 X 500 Pixel festgelegt, alle Karten wurden in diese Prokrustesgröße hineingezwungen. Als Liebhaber ist man nicht streng, sondern willkürlich. So musste ein Bild gefallen, um intensiv bearbeitet zu werden. „Gefal­len“ hat jedoch nur, was für die Zusammenstellung wich­tig war. Manche mussten aus ihrer Unkenntlichkeit her­ausgelockt werden, dies führte dazu, dass Postkarten mit aufgenommen wurden, die in solch geringer Größe nie eine Druckvorlage hätten sein dürfen. Die Eingemeindung von Bildern in das Postkartenformat geschah meistens dann, wenn entweder besonders treffende Aufnahmen vorhanden waren, so diejenigen s-w Bilder aus der Sammlung Guiffray, oder aber das Photo auftauchte, das seinerzeit Grundlage der Postkarten gewesen war. Meist waren dies Photographien der Dynastien Sebah und Rubellin, später die der berüchtigten Padova Freres.

Zu einer richtigen Orientierung in einer Stadt gehört – wenigstens so für einen Angehörigen der Generation vor dem Navi – ein Stadtplan. Der von Smyrna wurde hier zersägt, um vom geduldigen Leser wieder zusammengesetzt zu werden, hinzu kommt eine Legende auf Französisch.






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